Redeangst: Mein Körper reagiert mit Angstsymptomen, weil mein Verstand meine Emotionen nicht zulassen will und nicht möchte, dass sie von anderen Menschen bemerkt werden. Ein Unterfangen, das vor einer Gruppe fast unmöglich ist.
Die Paradoxie besteht darin, dass wir Menschen soziale Wesen sind und den sozialen Austausch zum Überleben benötigen, bei Redeangst aber genau davor Angst haben.
In der Psychologie wird Redeangst als leichte Form von Sozialangst gewertet. Eine extreme Ausprägung von Redeangst („krankhafte“ Form) wird als Logophobie bezeichnet. Diese Angst ist gekennzeichnet durch ein konsequentes Vermeidungsverhalten von Situationen, in denen vor Gruppen gesprochen werden muss.
Angst vor Aufmerksamkeit
Aus meiner Sichtweise ist Redeangst die Angst vor Aufmerksamkeit.
Betroffene fühlen sich unwohl, wenn sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit anderer Menschen stehen.
Man könnte auch sagen, das Gefühl von Aufmerksamkeit ist ihnen nicht vertraut, deshalb reagiert der Körper mit Symptomen, wenn er Aufmerksamkeit geschenkt bekommt.
Wenn ich vor einer Gruppe stehe, egal ob offline oder online, geht es nur um mich. Und dieses Gefühl ist mir fremd, deshalb reagiert mein Körper.
Im Grunde genommen habe ich nicht Angst vor der Gruppe, sondern vor mir selbst. Besser gesagt, vor meinen Emotionen (Aufmerksamkeit ist eine Emotion, bzw. erzeugt eine Emotion).
Ich habe Angst vor meinen Emotionen, weil sie mir nicht vertraut sind. Und das darf natürlich auch niemand bemerken.
Insofern kann Redeangst aus meiner Sichtweise auch als Angst vor Emotionen in sozialen Interaktionen bezeichnet werden.
Noch treffender finde ich die Beschreibung: Redeangst ist Angst vor emotionaler Verbundenheit.
Ich habe Angst, meine Emotionen mit anderen Menschen oder einer Gruppe zu teilen. Angst, eine emotionale Verbindung mit anderen einzugehen.
Aber genau die brauche ich ja, wenn ich vor einer Gruppe stehe.
Ich brauche einen Zugang, eine emotionale Verbindung zu der Gruppe, vor der ich stehe.
Warum?
Weil mit der emotionalen Verbindung zu der Gruppe mein Körper entspannen kann.
Redeangst beruht auf einem inneren Konflikt
Bei unbegründeter Angst geht man in der Psychologie von einem inneren Konflikt aus.
Ein Konflikt zwischen dem Neocortex (das ist der Teil des Gehirns, wo das Denken stattfindet) und dem limbischen System, dem Areal in unserem Gehirn, wo Emotionen, bzw. unsere Gefühlswelt entsteht.
Mein Verstand sagt mir: “Du brauchst doch keine Angst vor den Menschen in der Gruppe zu haben, die tun dir nix“. Trotzdem reagiert mein Körper mit Angstsymptomen, die im limbischen Gehirn erzeugt werden.
Verstand und Körper sind also nicht einer Meinung.
Anders ausgedrückt: Verstand und Körper sind nicht kongruent, nicht authentisch.
Mein Körper reagiert mit Angstsymptomen, weil mein Verstand meine Emotionen nicht zulassen will und nicht möchte, dass sie von anderen Menschen bemerkt werden. Ein Unterfangen, das vor einer Gruppe fast unmöglich ist.
Die Paradoxie besteht jetzt darin, dass wir Menschen soziale Wesen sind und den sozialen Austausch zum Überleben benötigen, bei Redeangst aber genau davor Angst haben.
Die gute Nachricht: Ich kann lernen, aufmerksam zu meinen Emotionen, also zu mir selbst zu werden.
Anders ausgedrückt: Ich kann lernen, wie ich mir meine Emotionen vertraut machen kann.
Wir Menschen nennen diesen Prozess auch SICH SELBST BEWUSST werden.
Je mehr Aufmerksamkeit ich mir selbst schenke, desto mehr Aufmerksamkeit kann ich von anderen Menschen ertragen.
Anders ausgedrückt: Je mehr Aufmerksamkeit ich meinen eigenen Emotionen schenke, desto mehr emotionale Aufmerksamkeit kann ich auch von anderen Menschen aushalten.
Das heißt, wenn mir meine eigenen Emotionen vertraut sind, kann ich sie zulassen und brauche sie nicht mehr mit meinem Verstand unterdrücken. Auf diese Art und Weise kann ich authentisch eine emotionale Verbindung mit anderen Menschen aufbauen.
Klingt logisch, nicht wahr?