Mein Traum bestand aus Auftritten als Konzertgitarristin, erfolgreichen Teilnahmen an Wettbewerben und bewundernde Anerkennung dafür, meine unendliche Liebe zur Musik an andere weiterzugeben. Doch der Fall war tief, und der Boden der Tatsachen unerträglich hart. Schlimm war die Erkenntnis, dass ich nie eine der besten sein würde, aber ganz besonders bitter war es, erkennen zu müssen, dass der Hauptgrund meine Bühnenangst war, die im Laufe des Studiums sukzessive anzusteigen schien und ich damit meine Chancen als Berufsmusikerin im wahrsten Sinne des Wortes „verspielt“ hatte!
Wirkliche Hilfe fand man damals nicht, obwohl ich an einer Musikuniversität studierte, wo man davon ausgehen konnte, dass auch andere betroffen waren.
Inzwischen hat sich auf diesem Gebiet einiges getan. An den meisten Musikhochschulen und Universitäten zählen Kurse zur Prävention von übermäßiger Nervosität zum Studiumsangebot. So auch zum Beispiel am Kurt-Singer-Institut für Musikphysiologie und Musikergesundheit der Universität der Künste in Berlin.
Ich will doch auf die Bühne…eigentlich…
Unter der bekannten Bezeichnung „Auftrittsangst“ versteht man allgemein eine starke Nervosität und Anspannung vor einer bevorstehenden Aufgabe. Meist ist der Betroffene dabei vermehrt der sozialen Aufmerksamkeit ausgesetzt. Dazu gehören zum Beispiel Bühnenauftritte von Musikern oder Schauspielern, Reden und Vorträge vor Publikum, Sportwettbewerbe, Vorstellungsgespräche und auch Prüfungssituationen aller Art.
Prinzipiell muss dabei zwischen zwei Arten von Angst unterschieden werden. Die mildere Form wird als Lampenfieber bezeichnet. Sie wirkt positiv reizend (auch bekannt als Eustress), erhöht die Aufmerksamkeit und Konzentration und steigert zudem die Leistungsfähigkeit.
Ihr gegenüber steht die „Auftrittsangst“. Auch als Disstress bezeichnet, hemmt sie den Betroffenen in seiner Leistung, bringt Symptome wie etwa Herzrasen, vermehrtes Schwitzen, Zittern, Erröten, Konzentrationsmangel und Vergesslichkeit mit sich und hindert den Betroffenen daran, die gewünschte Leistung abzuliefern, was ein Sinken des Selbstwertgefühles mit sich bringt und in weiterer Folge in sehr vielen Fällen direkt in eine Depression führt.
Grundsätzlich handelt es sich hier um eine Form von Angst, die – nüchtern betrachtet – Teil unserer genetischen Ausstattung ist. Von Beginn an sicherte sie unser Überleben in gefährlichen Situationen, indem sie unser Gehirn auf Angriff oder Flucht programmierte. Bei einem gesunden Stresslevel (in diesem Fall bei Lampenfieber) entscheidet sich der Urmensch in uns für den Angriff und beschließt, „denen zu zeigen, was er kann“. Überschreitet der Stresslevel allerdings einen bestimmten Punkt, ist der Gedanke an Flucht nur allzu verlockend, weshalb immer wieder Termine verschoben oder abgesagt werden.
Nun ist ein Auftritt keine todbringende Bedrohung in diesem Sinn, wird aber vom Betroffenen durch eine mutmaßliche, überschätzte Bedrohung ersetzt, nämlich die vielleicht negative Bewertung durch andere. Und diese drohende Bewertung wiederum würde soziale Unterlegenheit bedeuten und wäre ein Schlag für das Selbstwertgefühl, den man natürlich unbedingt vermeiden möchte.
So unterschiedlich die Symptome der Auftrittsangst bei jedem Einzelnen sein können, so unterschiedlich sind auch die Biografien und Persönlichkeiten der Betroffenen, aus denen heraus diese Angst entstanden ist, und so individuell sollte auch der Therapieansatz gewählt werden. Oft helfen schon banal klingende Dinge, wie ein bestimmtes Ritual vor dem Auftritt, genauere Vorbereitung oder mehr Auftrittserfahrung und damit verbundene Routine zu sammeln. Die Möglichkeiten reichen von medikamentösen, über therapeutischen (Auffindung der eigentlichen Wurzeln der Angst) bis hin zu körperlich betonten Therapieansätzen. (Zum Beispiel Yoga, Entspannungstechniken, NLP, Kinesiologie, um nur einige zu nennen.) Doch der Weg zurück aus der Angst ist nicht immer ein einfacher.
Die Zahl der Betroffenen ist oft nur sehr schwer festzustellen. Und das liegt nicht nur daran, dass je nach Studie die Zahlen große Unterschiede aufweisen. So werden speziell für Orchestermusiker Zahlen zwischen 24% (ICSON-Studie, geleitet von Fishbein et al.(1988)) und 96% (eine kanadische Studie von 1995 (OCSM)) angegeben. Der zweite Grund liegt darin, dass Auftrittsangst nach wie vor ein riesiges Tabuthema ist und nicht gerne darüber gesprochen wird. Gerade in Musikerkreisen greifen viele lieber stillschweigend zu Alkohol oder Betablockern. Letzteres – eigentlich ein Bluthochdrucksenker – dämpft zwar die körperlichen Symptome der Adrenalinausschüttung, allerdings auch die Gefühle, was gerade bei Musikern fatale Folgen für das musikalische Spiel hat. Da ist der bessere Weg dann doch, den ersten und wichtigsten Schritt zu machen und sich die Auftrittsangst einzugestehen. Abschaffen kann man sie nicht, doch man kann sehr wohl lernen, sie in positive Motivation umzuwandeln und sie zu kontrollieren.
Für viele sei es ein Trost, dass auch ein großer Teil der Prominenten unter Bühnenangst leiden/litten. Dazu zählen berühmte Musiker wie Frederic Chopin (Pianist), Enrico Caruso (Sänger), Vladimir Horowitz (Pianist), John Lennon, und Robbie Williams und Schauspieler, wie Laurence Olivier, Meryl Streep, Julia Roberts, Hugh Grant. Und sogar Johnny Depp ist sich nie sicher, ob denn seine eigenwilligen Interpretationen der gespielten Figuren ankommen, oder er stattdessen des Filmsets verwiesen wird. In Anbetracht dessen kann man nur allen Künstlern raten: Seid scham-los! Seid un-verschämt! Seid selbst-bewusst! Und wie schon der Pianist Artur Rubinstein (1887-1982) sagte: “Etwas (LF) brauche ich, sonst langweile ich das Publikum und mich!“