Authentisch wirken – Kunst oder Theater?

„Dies ist ein Mensch mit einer authentischen Persönlichkeit!“

Was meint jemand mit dieser Aussage über eine andere Person?

Spricht er über einen Menschen, der wahrhaftig, aufrichtig und echt ist?

Authentizität bzw. authentische Persönlichkeit – wie erlangt man die und was versteht man eigentlich darunter?

Unser Leben ist geprägt durch ständig wechselnde Rollen, die wir täglich spielen. Wir passen uns im Berufsalltag den notwendigen Spielregeln an, zeigen bestimmte Verhaltensweisen in der Familie, erfüllen die Erwartungen im Freundeskreis. Wir haben uns bestimmte Klischees zu eigen gemacht, leben gemäß erlernter Stereotypen, jonglieren mit speziellen Verhaltensstrategien. Wir wollen Bestätigung und Gefallen finden, versetzen uns in Zwangssituationen, agieren wie Schauspieler auf unserer eigenen kleinen Bühne.

Sind wir in diesem Rollenspiel des Lebens als Person überhaupt noch glaubwürdig? Ist das Echtheit, die wir zeigen, oder sind das unzählige Gesichter in einem Lebenstheater, das den Mitmenschen nur etwas vorspielt?

Nicht wenige sehnen sich nach einem einzigen, wahren Menschen, wünschen sich authentisches Sein. Sie möchten einfach nur sie selbst sein, statt in eine Rolle schlüpfen und sich verbiegen zu müssen.

Die Fragen sind: Ist dieser Wunsch realistisch? Und wenn ja – wie stellt man es an, ein authentisches Dasein zu leben?

Definition des Begriffs Authentizität

Dass dieses Thema eine gewisse Brisanz und Aktualität hat, zeigen die Einträge im Internet, die in den letzten Jahren von ca. 1 Mio. auf mehr als 10 Mio. Treffer anstiegen. Die Beschäftigung mit diesem Thema stößt ergo auf ein sehr großes Interesse.

Sucht man im Synonymwörterbuch nach entsprechenden Begriffen für Authentizität, findet man die Bezeichnungen Glaubwürdigkeit, Echtheit, Zuverlässigkeit, Unverfälschtheit, Wahrhaftigkeit und Verlässlichkeit.

Ein Blick in die Etymologie klärt uns auf, dass das Wort Authentizität aus dem Griechischen (authentikós) kommt. Dabei übersetzt man den Wortteil ‚autos‘ mit ‚selbst‘ und das Wort ‚ontos‘ bedeutet ‚sein‘. Damit meint also die Zuschreibung ‚authentisch sein‘ nichts Anderes als ‚man selbst sein‘.

Sicher hat jeder Mensch seine eigene Definition des Begriffs ‚Authentisch sein‘. Der eine meint vielleicht, dass man auf keinen Fall faule Kompromisse eingehen soll, um Anerkennung oder Gefälligkeiten zu erhalten bzw. Angst oder Unsicherheit zu verbergen. Für einen anderen bedeutet es, dass man aufrichtig sein und sich nicht verbiegen lassen soll.

In jedem Fall hat das Wort ‚authentisch‘ immer etwas mit Echtheit zu tun und dass etwas auf seine Originalität geprüft wird. Diese Prüfung bezieht sich nicht nur auf Dinge, wie z. B. Bücher und Dokumente, sondern ebenso auf Menschen. Diese lassen sich allerdings viel schwieriger prüfen und daher benutzen wir als Authentizitätsprüfung häufig Kriterien und Vergleiche in Bezug auf Gefühlsäußerungen, Denk- und Handelsweisen oder Aussagen einer Person.

Tatsächlich haben authentische Personen ein ungekünsteltes, offenes, lockeres und echtes Auftreten. Wir empfinden, dass authentische Menschen eine Selbstsicherheit ausstrahlen, und erleben, dass sie zu sich und ihren Ansichten stehen und sowohl ihre Stärken als auch ihre Schwächen unumwunden preisgeben. Ein authentischer Mensch ist im Einklang mit sich, im selbstsicheren Auftreten schwingt seine Unbeirrbarkeit mit und dies wird von seiner Umgebung erspürt.

Wie ist es aber um unser gutes Beurteilungsvermögen bestellt? Manch einer sieht in seinem Gegenüber eine verlässliche und glaubwürdige Person, weil sie bestimmte Meinungen äußert und sich dementsprechend verhält, wohingegen eigenwillige, unkonventionelle Menschen skeptisch betrachtet werden. Das kann zu Situationen führen, dass letztlich denjenigen Personen Authentizität attestiert wird, die aber nur eine Rolle glaubwürdig spielen und einen genialen Weg der Anpassung gefunden haben, um ihr Verhalten den Erwartungen anzugleichen.

Welche Anhaltspunkte zur richtigen Beurteilung der Authentizität sind von Bedeutung?

Mag es auf der einen Seite einen dringenden Wunsch nach Authentizität geben, so bietet uns auf der anderen Seite die momentane digitale Welt viele Chancen, das Gegenteil zu leben.

Wir kommentieren anonym auf den unterschiedlichsten Internetplattformen und verbergen uns hinter diversen Persönlichkeiten. Wir posten unsere kreativen, gestellten Fotos auf Onlinediensten, wir bewerben uns sachlich und neutral auf sozialen Netzwerken, wir zeigen uns weltmännisch bei der Beurteilung gesellschaftlicher Themen.

So different das offensichtlich ist, so notwendig scheinen die verschiedenen Rollen in der heutigen Gesellschaft zu sein. Die Selbstvermarktung gehört zum modernen Habitus, denn eine digitale Eigendarstellung liegt im Trend, fördert das Image und die berufliche Karriere. Eine exzellente äußerliche Darstellung manifestiert das individuelle Signum und perfektioniert das eigentliche Original.

Wer kritisch denkt, fragt an dieser Stelle sofort nach.

Was ist noch echt, unverfälscht und ehrlich an dieser Person, die sich auf diese Weise vorstellt?

Wo ist der Grat zwischen verständlicher, akzeptabler Präsentation und manipulativer Täuschung?

Vier Merkmale des Begriffs Authentizität

Es ist unschwer vorstellbar, dass sich unzählige Wissenschaftler seit langem mit der Definition der Authentizität befassten. Dabei ging es immer darum, eine exakte Bestimmung, eine konkrete Eingrenzung und einen greifbaren Bewertungsmaßstab zu finden. Michael Kernis und Brian Goldman, Sozialpsychologen der Universität von Georgia, arbeiteten vier Kennzeichen heraus, die sie als zwingende Notwendigkeit ansehen, damit sich der Mensch als authentische Person beurteilen kann.

  • Bewusstsein

Jeder sollte sich über seine Schwächen und Stärken, seine Einstellungen und Gefühle, seine Prinzipien und Motivationen Klarheit verschaffen, denn allein durch eine intensive Selbstreflexion kann man seine Handlungsweisen bewusst nachvollziehen, einschätzen, verstehen und beeinflussen.

  • Rechtschaffenheit

Bedauerlicherweise tendieren die Menschen dazu, sich in einem schöneren, vorzeigbareren Bild zu sehen als es der Wirklichkeit entspricht. Ein Experiment der Psychologen Nicholas Epley und Erin Whitchurch auf der Grundlage von Porträtfotos ergab folgendes, interessantes Ergebnis. Einzelnen Probanden wurden echte und geschönte Fotos von sich selbst vorgelegt. Mussten sie das Foto herausnehmen, auf dem sie sich am besten getroffen empfanden und am Ähnlichsten sahen, zeigten die Testteilnehmer jedes Mal auf das hübschere, bearbeitete Foto. Sollten sie die Fotoaufnahmen anderer Probanden beurteilen und identifizieren, wählten sie unverzüglich das authentische bzw. natürliche Gesicht. Das Fazit aus der Studie lautet, dass Authentizität bedeutet, dass man die Realität mit positiven und negativen Elementen, angenehmen und unerfreulichen Momenten akzeptieren muss und dies sowohl in Bezug auf verbale Äußerungen als auch für optische Eindrücke gilt.

  • Schlüssigkeit

Die eigenen Handlungsweisen sollten mit den persönlichen Wertvorstellungen und Meinungen übereinstimmen. Sich auch dann zu seinen Werten zu bekennen, wenn Nachteile drohen, ist stark, beachtlich und authentisch. Opportunisten hingegen gelten wegen ihrer schnellen, bedenkenlosen „Wendemanöver“ als unecht, unzuverlässig und nicht authentisch.

  • Transparenz

Ein zeitweilig gelebtes, idealisiertes Bild ist durchaus annehmbar, allerdings nicht, wenn man Authentizität im Auge hat. Mit Stärke und Selbstbewusstsein schafft man es, zu seinen Schwächen, Defiziten und negativen Seiten zu stehen.

Quintessenz

Authentizität hat ihren Ursprung im Menschen selbst. Derjenige, der Rollen spielt, Anpassung lebt und zu Opportunismus neigt, erntet möglicherweise Anerkennung, driftet aber in die Unechtheit und ins Misstrauen ab.