An einer Uni ist ein neues Forschungsprojekt an den Start gegangen. Verschiedene Studenten haben nun die Aufgabe, das Projekt voranzutreiben und ihre Ergebnisse in einem Vortrag zu präsentieren. Am späten Nachmittag wird deshalb im Vorlesungssaal eine Präsentation veranstaltet. Jan-Paul ist Mitglied des Studententeams und soll über den aktuellen Stand des Forschungsprojektes berichten. Inzwischen ist jeder Stuhl im Saal besetzt und die Zuhörer warten neugierig und gespannt auf seinen Vortrag.
Ein Student verlässt noch einmal seinen Platz und drückt den quietschenden Griff eines Fensters herunter, um es zu schließen. Die Geräusche der vorbeifahrenden Autos vor der Hochschule klingen jetzt gedämpft und beinahe so, als müsste die Welt draußen warten.
Es wird immer ruhiger im Saal. Die Gespräche werden leiser und verstummen schließlich ganz. Jemand hustet noch rasch in die Stille und dann tritt Jan-Paul vor die Anwesenden, um seinen Vortrag zu halten. In diesem Moment „genießt“ er die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Zuhörer.
Er genießt die Aufmerksamkeit? – Wohl eher nicht, denn Jan-Paul leidet unter Redeangst und hat in diesem Moment nur noch den Wunsch, den Raum zu verlassen. Er spürt den Druck, der auf ihm lastet und sieht sich dazu gezwungen, das Richtige zu sagen. Was aber ist das Richtige? Jan-Paul kann sich kaum noch auf seine Worte konzentrieren, denn die Aufregung scheint ihn zu beherrschen: „Was“, fragt sich Jan-Paul aufgeregt, „wenn ich jetzt keinen Ton mehr heraus bekomme?“ Und während er versucht, sich auf seine Sätze zu konzentrieren, kriecht die nächste Bewertung in sein Bewusstsein: „Was, wenn ich jetzt das Wesentliche vergesse oder nicht auf den Punkt bringen kann?“ Mit der nächsten Frage, die sich Jan-Paul stellt, gerät er vollständig aus dem Konzept: „Was, wenn ich meine Kommilitonen weder informieren noch überzeugen kann?“
Die sorgfältig vorbereiteten Informationen sind aus seinem Gedächtnis verschwunden und Jan-Paul fühlt sich, als hätten seine noch unausgesprochenen Worte nun eine schmale Lücke im soeben geschlossenen Fenster gefunden. Hinaus in die Welt, die um so vieles einfacher zu ertragen wäre als die Welt im Vorlesungssaal, in dem Jan-Paul nichts mehr zu sagen hat, da die Erwartung seiner Zuhörer nun zu einer unerträglichen Erwartung an sich selbst geworden ist.
Diese Erwartung an sich selbst bei Vorträgen ist für Jan-Paul während seines Studiums ein vertrautes Szenario geworden, das er sich immer wieder vorstellt und auf diese Weise ins Bewusstsein holt. Jan-Paul kennt bereits jedes Detail seiner Vorstellungen so genau, dass er ohne Schwierigkeiten ein Drehbuch über sein Versagen schreiben könnte.
Das Phänomen
Es ist ein Phänomen, dass Menschen dazu tendieren, sich auf das zu fokussieren, was offensichtlich nicht zu funktionieren scheint. Sie denken darüber nach, was alles passieren wird oder passieren könnte. Sie machen sich Bilder von bestimmten Situationen oder produzieren Filmszenen von den Schwierigkeiten, mit denen sie sich befassen. Und meistens machen sie das alles sogar sehr gut. Und sie machen das immer wieder und wieder und wieder; so oft, bis sie es nahezu perfekt beherrschen. Sie werden sozusagen wahre Meister in den Dingen, die nicht funktionieren.
Und sie befassen sich mit Symptomen. Es werden sogar ganze Listen von Symptomen angefertigt, die dann auch noch im Detail beschrieben werden. Damit die Betroffenen sich die Möglichkeit schaffen, ihre Schwierigkeiten an den Symptomen festmachen zu können. Auch Jan-Paul tut das. Die körperlichen Symptome, bei seinen Vorträgen und Präsentationen kennt er sehr gut.
Was sich Menschen eher seltener fragen, ist: „Was genau müsste anders sein, damit es funktioniert?“
Auch Jan-Paul hat sich diese Frage bislang noch nicht gestellt. Er hat sich nie gefragt: „Was genau fehlt eigentlich, damit ich Spaß bei meinen Vorträgen und Präsentationen haben kann? Was müsste anders sein, damit ich meine Präsentationen genießen kann?“
Die Angst vor Präsentationen an der Uni mit einer neuen Sichtweise betrachten
Wer sich auf einer Redner-Bühne sicher fühlen will oder Spaß bei Vorträgen und haben möchte, braucht etwas extrem Wichtiges: eine RESSOURCE.
Eine „Res-source“ bringt dich als Redner sozusagen zu deiner Quelle zurück. Ressourcen sind ein Gegenpol zu dem, auf das sich Menschen meistens fokussieren. Was genau eine Ressource sein kann, ist sehr individuell und hängt von dem Rednertyp ab, wie wir später noch sehen werden.
Auch Jan-Paul könnte mit geeigneten Ressourcen seine Präsentationen genießen und richtig Spaß dabei haben.
Der erste Schritt
Um deine individuellen Ressourcen zu finden und zu aktivieren ist es im ersten Schritt hilfreich, herauszufinden welcher Redner-Typ du bist. Es gibt zwei Typen:
1.) den Politiker-Typus
2.) den Professoren-Typus
Der Politiker-Typus hat meistens als Kind schon gern geredet. Deshalb ist er oder sie z. B. einem Rednerklub beigetreten, in dem man gern redet. Was dort gesagt wird, steht nicht primär im Vordergrund. Der Inhalt hat für den Redner keinen wirklichen Wert und ist eher sekundär, er will nichts mitteilen. Wichtig für ihn ist das Reden an sich und im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen zu können. Er redet gern, weil er sich gern reden hört. Und weil er sich gern reden hört, redet er gern. Die wichtigste Ressource des Politikers: Er hört sich gerne reden und steht gern im Rampenlicht.
Der Redner vom Typ „Professor“ ist das genaue Gegenteil des Politiker-Typus. Er hat etwas zu sagen. Und das, was er sagen möchte, kann unterschiedliche Qualitäten haben. Im Vordergrund steht bei ihm aber der Inhalt und nicht die „Verpackung“. Das, was er sagen möchte, ist ihm wichtiger als die Wahl der Worte. Damit unterscheidet er sich vom Politiker-Typus auch in der Ressource. Seine Ressource kann z. B. Wissen sein, das er den Teilnehmern seines Vortrages weitergeben möchte. Es kann sich aber auch um eine Botschaft handeln, die er einer Gruppe mitteilen möchte.
Professor oder Politiker?
Wenn du zum Typ Professor gehörst: Stelle dir selbst aus einer Meta-Position heraus folgende Fragen und beantworte diese auch. Tu bei der Beantwortung der Fragen so, als ob du deinen Vortrag halten, deine Präsentation durchführen oder auf der Bühne stehen würdest.
Für wen ist das gut, was ich mache?
Was hat meine Familie davon? (Wenn es eine gibt.)
Was hat die Hochschule davon?
Was hat die Gesellschaft davon?
Frage dich weiter:
Was für ein Selbstverständnis hast du?
Wie verstehst du dich selbst?
Als was für einen Menschen erlebst du dich?
Wer bist du?
Welche Aufgabe oder Mission hast du?
Mit welchen Menschen, Ideen, Überzeugungen bist du am allermeisten verbunden?
Extrem wichtig ist dabei: du musst dich mit deinen Antworten identifizieren.
Wenn du zum Politiker-Typus gehörst: Gehe in eine Meta-Position und betrachte dich selbst bei deinem Auftritt. Stell dir folgende Fragen und beantworte sie diesmal aus der Meta-Position heraus:
Was könnte ich noch verbessern an meinem Auftreten?
Wie gut ist meine Rhetorik?
Sollte ich Schauspielunterricht nehmen, um meinen Ausdruck zu verbessen?
Wie kann ich die Menschen mit meinen Worten beeindrucken? (Wenn du das möchtest.)
Extrem wichtig ist auch hier: du musst dich mit der Art und Weise, wie du auftrittst, identifizieren.
Wenn du dir nicht sicher bist, zu welchem Typus du wirklich gehörst oder gehören möchtest, probiere einfach beide Varianten aus. Es kann natürlich auch sein, dass du Anteile von beiden Typen hast. Wie dem auch sei, entscheidend ist, dass dir deine Identität bewusst wird. Denn das ist die Ressource, die du auf jeden Fall benötigst, wenn du richtig Spaß bei deinen Vorträgen und Auftritten haben möchtest.