Wie entsteht Sprechangst?

Eine Umschreibung von Sprechangst wäre beispielsweise, dass wir die Aufmerksamkeit Anderer auf uns ziehen und dabei Angst vor der Bewertung der Zuhörer haben. Wenn ein Mensch das Gefühl hat, sich darstellen zu müssen, also sich nicht natürlich verhalten zu können, hat er die Angst, wie dies bei seinen Zuschauern ankommt. Durch diesen Zweifel an uns selbst entsteht die Bedrohung, die wir schließlich als Angst empfinden. Der Bewertungsprozess, dem wir uns selbst aussetzen, sieht in etwa so aus:

  • Man nimmt wahr, wie viel Menschen zuhören wollen, und wie groß deren fachliche Kompetenz ist. Daraus schlussfolgert der Redner, welche Redeleistung erforderlich ist.
  • Der Redner schätzt in Gedanken ab, ob er diese Situation bewältigen kann. Beantwortet man diese Frage mit JA, entsteht daraus das Gefühl einer Herausforderung. Andernfalls entstehen Zweifel, die zum Gefühl der Überforderung führen.
  • Die dazugehörenden Gefühle sind bei Herausforderungen die Motivation und Aktivierung, bei negativer Prognose sind es Anspannung und Angst.
  • Interpretation des Redeverhaltens entsprechend des Bildes von sich selbst.

Daraus folgt die Erkenntnis, dass die Sprechangst ein Produkt unserer eigenen Gefühle und unserer Bewertungen und Einschätzungen ist. Wie stark die Sprechangst ausgeprägt ist, oder wie sie überhaupt entstehen kann, haben Sprechangstforscher unter die Lupe genommen, aber das Zusammenspiel bzw. den Stellenwert der einzelnen Parameter noch nicht klären können. Experimente haben zu zwei Bereichen geführt, den Merkmalen der Person als Sprecher und den Merkmalen der konkreten Sprechsituation.

Die Person

Wer von der Sprechangst gehemmt wird und wie stark dies ausgeprägt ist, hängt auch von der Persönlichkeit ab. Die Angst kann flüchtig auftreten, weil die Situation besonders anspannend ist, aber auch ständig in solchen Situationen auftreten, weil die Angst vor der (negativen) Bewertung zu den Persönlichkeitsmerkmalen gehört. In der Psychologie wird letzteres als „trait“ bezeichnet, bei einer aktuellen, einmaligen Angst spricht man von „state“.

Wer also dazu neigt, ängstlich zu sein und sich nicht gern zu präsentieren, wird in ähnlichen Situationen immer wieder so reagieren. Wer jedoch immer wieder in eine Situation gerät (etwa beruflich), etwas vor Publikum äußern zu müssen, entwickelt Bewältigungsstile, die von Sprecher zu Sprecher unterschiedlich sind. Meist sind dies diverse Arten der Verdrängung, wie beispielsweise, die Situation zu bagatellisieren. Oder aber sich gedanklich abzulenken bzw. die Situation zu verleugnen.

Wer aber der Situation bewusst begegnen möchte, und etwas dagegen zu tun gedenkt, setzt kognitive Strategien ein. Die überwachenden (vigilante) Gedanken, sind eher aktiver Natur. So überlegt man sich, was zu tun wäre, falls man aus dem Konzept kommt beim Sprechen. Auch machen sich die Betroffenen die negativen Ereignisse bewusst, wie etwa durch den Gedanken daran, wie unangenehm ein Versagen wäre.

Dabei gibt es keine endgültige Lösung, was besser wäre. So muss man sich darüber im Klaren sein, um welche Art des Sprechens es sich handelt und welche Auswirkungen es haben könnte. Einerseits muss ein fachlicher Vortrag gut vorbereitet sein, aber andererseits kann die Fragen eines Personalchefs natürlich niemand genau vorausahnen.

Wer zwischen beiden Bewältigungsstilen hin-und herwechseln kann, ist am besten beraten. Je nach Art des Gesprächs kann man sich so darauf einstellen, was nötig wäre. Wer Sprechangst und ein feststehendes Selbstbild hat, kann sich schlecht vorbereiten. Er nimmt dann lieber in Kauf, dass sein Vortrag als schlecht eingestuft wird, als dass er als aufgeregt gilt. Allerdings wird er mit den körperlichen Zeichen wie Schweißausbrüchen völlig unvorbereitet konfrontiert. Damit nimmt er in Kauf, dass die Angst größer wird.

Ebenfalls eine Frage der Persönlichkeit ist es, welche Leistungs-und Kommunikationsorientierung man hat. Wer davon ausgeht, dass das Halten einer Rede eine große Leistung ist, wird mehr Angst haben als jemand, der davon ausgeht, dass das Sprechen zum Publikum eine Art der Kommunikation ist, die jeder bewältigen kann, wie das Sprechen mit dem Nachbarn im Hausflur.

Die Situation

Sprechsituationen gleichen sich nicht. So kommt es, dass wir die eine als locker, die andere als anstrengend empfinden. Häufig hängt dies mit dem Publikum zusammen, mit dem Anlass der Rede und deren Inhalt. Dabei wurden verschiedene Faktoren wissenschaftlich untersucht:

  • Fremd oder vertraut

Beides ist nicht nur positiv oder negativ besetzt. Manch einer spricht ungern vor Fremden oder Personen, die stark auf den Inhalt fokussiert sind, wie etwa dem Chef. Ihnen ist eine vertraute Umgebung lieber. Andere jedoch sprechen besonders ungern vor Familie und Freunden, weil sie davon ausgehen, dass diese ein Bild von dem Sprechenden haben, welches sie nicht verändern oder beschädigen wollen. Geringer ist Aufregung natürlich dann, wenn die Situation und der Inhalt nicht neu, sondern vertraut sind.

  • Freiwilligkeit

Weniger Sprechangst hat man meist, wenn die Situation freiwillig entstanden ist. Ist der Redner dazu gezwungen, fühlt er sich in die Ecke getrieben und hat umso mehr Angst.

  • Vorhersagbarkeit und Kontrolle

Unsicherheit kommt besonders dann vor, wenn die Situation nicht vorhersehbar ist. Habe ich die Möglichkeit mich vorzubereiten, komme ich wahrscheinlich besser damit zurecht. Dann gehe ich davon aus, dass ich die Situation besser kontrollieren kann.

  • Bedeutsamkeit

Natürlich ist es von Belang, wie bedeutsam die Rede ist, die ich halten muss. So entsteht zum Beispiel die Prüfungsangst, weil klar ist, dass mit dem Nichtbestehen Konsequenzen verbunden sind. Dazu gehört auch, dass die Erwartungshaltung des Publikums richtig eingeschätzt wird. Ist diese nicht so hoch, fällt auch die Rede leichter.

  • Redeaufgabe

Auf die Sprechleistung wirkt sich auch aus, wie die Redeaufgabe ausgefallen ist. Sind die Anforderungen klar geregelt, hat man bessere Vorbereitungsmöglichkeiten. Die Sprechangst steigt also an, wenn ich nicht genau weiß, was von mir verlangt wird.

  • Publikum

Angstauslöser ist auch die Art des Publikums. Kann ich davon ausgehen, dass dieses mir wohlgesonnen ist? Muss ich mit ablehnendem Verhalten rechnen? Läuft vielleicht noch eine Kamera mit, so löst das oft die Angst zu sprechen aus, weil man sich kontrolliert fühlt.

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