LAT-Beziehung – zusammen sein, aber getrennt leben!?
LAT – eine Abkürzung des Begriffs LIVING APART TOGETHER – ist eine Bezeichnung, die die niederländische Schriftstellerin Cees J. Straver im Jahr 1980 in einen wissenschaftlichen Diskurs führte.
Mit diesem Kürzel bzw. der Benennung ist eine Lebenswelt multilokal Wohnender gemeint, d. h. eine bewusst getrennte Wohnform einer Partnerschaft. Die Partner in einer LAT-Beziehung sind fest liiert, haben möglicherweise Kinder, leben und wohnen jedoch wie in einer Fernbeziehung, also nicht in derselben Wohnung oder einem gemeinsamen Haus.
Im Gegensatz zur klassischen Fernbeziehung, bei der die Partner z. B. aus beruflichen Gründen für einen bestimmten Zeitraum an entfernten Orten leben müssen, stellt die LAT-Beziehung keine Übergangslösung dar, sondern fußt auf einer freiwilligen und absichtlichen Entscheidung. Insofern ist LIVING APART TOGETHER keine Durchgangsstation zu einem gemeinschaftlichen Wohnumfeld und sicher auch keine Phase, in der man eine Beziehung auf die Probe stellt. Vielmehr versprechen sich die Partner neben einer innigen Beziehung gleichzeitig eine räumliche Freiheit und wirtschaftliche Unabhängigkeit. Ihre Argumente für diese Lebensform des LAT richten sich auf die Entspannung und Vereinfachung in den Situationen, in denen persönliche Krisen zu unerträglichem Zusammensein oder unlösbare Konflikte zu einem zwangsweisen gemeinsamen Aufenthalt in den vier Wänden führen. Durch LIVING APART TOGETHER bestehe kein Zwang zum Zusammenbleiben aufgrund finanzieller Unselbstständigkeit oder einer Wohnsituationen.
Des Weiteren entschärfe LAT all die Alltagsschwierigkeiten, in denen es oft zu Streit, Distanz oder Resignation komme, z. B. bei zeitlichen Regelungen und Abläufen, bei unerquicklichen, kompromisslosen Diskussionen, bei sinnlosen Meinungsverschiedenheiten, bei schlechter Laune, bei divergierenden Wünsche in Bezug auf Gewohnheiten, Leidenschaft, Hobbys, Ansprüchen oder Verhaltensweisen.
Eine feste, moderne Beziehung als LAT soll entgegen traditioneller Muster durch ganz bewusstes Ausklammern des Gewohnheitsfaktors, der Routine bzw. der Reibereien auf einem Level einer immer wieder neuen Begegnung durch ausdrückliche Pausen und gewollte Rückzugsphasen basieren. Negative Beeinträchtigungen werden abgelehnt und ausgegrenzt, damit Banalität und Normalität keine Chance haben und der Reiz der Liebe nicht geschwächt wird. Ein hehres Ziel! Können diese Wünsche und Vorstellungen funktionieren? Es erhebt sich die Frage, auf welche Weise LAT überhaupt reibungslos ablaufen kann?
Vernunft oder Konvention?
Die Art der Beziehungen hat sich gerade im 21. Jahrhundert auf vielfältige Weise verändert. Über Lebensgemeinschaften, die zu Großmutters Zeiten als skandalös, inakzeptabel oder verrucht galten, rümpft heute niemand mehr die Nase. Das heißt allerdings nicht, dass Dreierbeziehungen, homosexuelle Partnerschaften oder offene Ehen grundsätzliche Akzeptanz oder eine automatische Normalität erfahren. Auf jeden Fall müssen die Partner dieser außergewöhnlichen Lebensformen sich nicht mehr verstecken.
Eine vorübergehende Form des LAT ist als Lebenskonzept allgemein bekannt, denn viele Paare nehmen sich Zeit mit dem Zusammenziehen bzw. der Einrichtung eines gemeinsamen Haushaltes, bis sie sich sicher sind, dass ihre Zuneigung und die Lebensmodelle auf einer soliden Basis beruhen. Wird das LIVING APART TOGETHER jedoch auf Dauer eine geltende Lösung, entspricht das nicht den gängigen Erwartungen und erfüllt nicht die herkömmlichen Meinungen über die logische Abfolge einer Liebesbeziehung.
Diese präsentiert sich auf folgende Weise:
Nachdem zwei Menschen sich verliebt haben, testen sie ihre Partnerschaft und prüfen, ob die Liebe Bestand hat und zu einer festen Beziehung werden kann. Wird dies nach einer Zeit des tieferen Kennenlernens und der Leidenschaft bejaht, kommt es zum Entschluss, sich vollständig zueinander zu bekennen. Gibt es allerdings zu viele Differenzen, ist eine Trennung unausweichlich. Bei einer positiven Prognose und dem festen Wunsch des Zusammenlebens folgt der Aufbau einer gemeinschaftlichen Heimstatt bzw. die Vereinigung der bestehenden Haushalte. Ist der Raum für eine gemeinsame Zukunft geschaffen, etabliert sich der Wunsch nach Nachwuchs, die Festigung beruflicher Wege wird geplant, Eigentum wird angehäuft bzw. vermehrt und für die ferne Zukunft Geld gespart.
LAT-Befürworter verstehen unter dem Lebenskonzept des Zusammenwohnens eine konventionelle Grundlage, die mit Nachteilen verbunden ist. Der Anpassung an überlieferte Lebensmuster entsprechen lt. der LAT-Philosophie die kulturell geprägten Lebensweisen der Menschen auf nicht natürlichen Fundamenten. Freiräume eröffnen sich erst, wenn man trotz fester Lebenspartnerschaft eigene Bedürfnisse frei entfalten kann.
Grundsätzlich gilt, dass jedes Beziehungskonzept funktionieren kann, solange beide Partner einverstanden sind.
Dass Lebenskonzepte wie LIVING APART TOGETHER früher insbesondere in Künstler- und Intellektuellengruppierungen gelebt wurden, hatte zwei Gründe. Erstens hielt man solche Beziehungsmodelle für die beste Möglichkeit, die Selbstentfaltung und Kreativität eines jeden Individuums zu fördern. Zweitens setzte man durch diese Abgrenzung ein deutliches Zeichen gegen verstaubte, gutbürgerliche Verhaltensnormen.
Egal welches Beziehungsmodell moderne Menschen wählen, über die persönlichen Gefühle, die Fortschrittlichkeit und das Gelingen kann man nur urteilen, wenn man eine solche Partnerschaft gelebt hat oder lebt. Die Bewertung bleibt selbstverständlich subjektiv und umfasst nur die Person selbst und die entsprechende Lebensform. Nach dem Scheitern einer jeglichen Beziehung kann niemand mit Gewissheit sagen, ob nicht ein anderes Modell größeren Erfolg oder tiefere Beständigkeit versprochen hätte. Das Rad kann man nicht zurückdrehen, um mit einem neuen Lebensentwurf zu beginnen und mit anderen Erfahrungen ein Alternativmuster zu „testen“.
Eine fundierte oder allgemeingültige Kritik am LAT-Modell erübrigt sich demzufolge. Der Vorwurf gegenüber einem Paar, das im „LAT-Modus“ lebt, von einem Kaviar-Weißbrot nur den Kaviar zu essen und das schnöde Weißbrot zu verschmähen, hat möglicherweise Neid als Wurzel, zeigt fehlende Courage für experimentelle Formen und/oder manifestiert sich in einer allzu eingefahrenen Denkweise. Da darf die Frage erlaubt sein, ob die eigene Beziehung vielleicht weniger ein knuspriges Baguette als vielmehr eine altbackene, harte Brotscheibe ist.
Leben Paare in einer glücklichen, zufriedenen Beziehung mit ihrem angetrauten Partner, gibt es viel mehr Toleranz gegenüber Anderslebenden, denn das eigene Glück wünscht man gern auch anderen.
Zum Thema innerhalb einer Partnertherapie bzw. eines Beziehungscoachings wird die LAT-Beziehung dann, wenn Uneinigkeit unter den Beteiligten herrscht. Hier werden dann nicht die Plus- und Minuspunkte dieses modernen Lebenskonzepts diskutiert, sondern es geht vielmehr um Konflikte in Bezug auf die Fernbeziehung, das Problem von Distanz und Nähe und die Schwierigkeiten mit Verlust- und Bindungsängsten.
Gibt es spezielle Menschentypen, die besonders für eine solch offene Beziehung wie LIVING APART TOGETHER in Frage kommen?
Das Bedürfnis nach Intimität und Abstand differiert bei allen Menschen und ist kein Anzeiger für die Tiefe einer Beziehung oder die Innigkeit einer Liebe zueinander. Weichen allerdings die Forderungen und Wünsche der Partner bzgl. der Freiräume und Kompetenzen zu stark voneinander ab, kommt es zu Unverständnis, Intoleranz und dem Gefühl von Missachtung. Diese tiefgreifenden Emotionen sind nach jahrelangem Vorhandensein sehr schwer aufzubrechen.
Den Partnern sei geraten, sich schon ganz früh über Bedürfnisse und Ängste offen auszutauschen und rechtschaffen zu persönlichen Vorlieben und Ablehnungen Stellung nehmen. Zurückhaltung aus Scham, Trägheit und Taktgefühl oder Angst vor unangenehmen Reaktionen ist geradezu kontraproduktiv, denn auf lange Sicht gesehen gerät man mit falscher Rücksichtnahme in eine Sackgasse. Die Möglichkeit Beziehungsprobleme vor sich herzuschieben, erweist sich erfahrungsgemäß als wenig hilfreich, denn die negativen Konsequenzen müssen später doppelt und dreifach ausgebadet werden.
Befürworter einer LAT-Beziehung sind häufig die Menschen, die ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit behalten bzw. auf ihre Eigenverantwortlichkeit und Flexibilität nicht verzichten wollen. Zu dieser Gruppe gehören viele berufstätige Frauen und Alleinerziehende. Lt. Studien der Berliner Humboldt-Universität ist LIVING APART TOGETHER insbesondere bei Menschen beliebt, die den 40. Geburtstag überschritten haben.
Als Ursache kann man anführen, dass viele Menschen in der Phase des mittleren Erwachsenenalters schon gescheiterte Beziehungen in einer traditionellen Langzeitbeziehung durchlebt haben und sich daher für einen getrennten Lebensbereich entscheiden, wenn eine neue Partnerschaft sich anbahnt. Die Furcht vor einer Wiederholung der negativen Erfahrungen ist verständlich und ein entsprechendes Handeln mehr als akzeptabel. Eine neue Liebe bewusst zu erleben und zu genießen, sollte jedem auf neue Art gestattet sein.
Es liegt dann am Paar selbst, dass es gerade aufgrund der getrennten Wohnsituation ein intensives und aktives Zusammensein pflegt und die gemeinsame Zeit mit inspirierenden Ideen und belebenden Impulsen bereichert. Sich nach kurzen Trennphasen auf zwei Lebensinseln wieder neu als Paar zu begegnen, schafft immerzu Gelegenheiten für neuen Gesprächsstoff und überraschende Aktionen. Begegnungen beruhen dann auf Freiwilligkeit und fördern Harmonie und Vereinigung.