Ursache, Entwicklung und Entstehung von Angststörungen
Die Theorien über die Entstehung von Angststörungen sind genauso komplex wie ihr Auftreten und das subjektive Erleben der Betroffenen. Psychodynamische und lerntheoretische Modelle dienen als Erklärungsgrundlage für die Ursache, Entwicklung und Entstehung von Angststörungen. In der letzten Zeit hat die Kenntnis über neurobiologische Faktoren jedoch deutlich zugenommen. Die Modellvorstellungen lassen sich am besten, analog zu der Genese anderer psychischer Erkrankungen, in einem Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Modell verbinden.
Lerntheoretische Aspekte bei Angststörungen
Die lerntheoretischen Ansätze haben primär die Modelle von der Entstehung phobischer Zustände beeinflusst. Objekt- bzw. situationsgebundene Angst konnte bereits sehr früh durch Auslösen bedingter Reflexe experimentell erzeugt werden (klassisches Konditionierung). Allerdings konnte die Komplexität von Angst und Panikstörungen mit diesen einfachen experimentellen Konzepten nicht ausreichend beschrieben werden.
In der Verhaltenstherapie wird heute zwischen disponierenden, auslösenden und aufrechterhaltenen Faktoren unterschieden. Die disponierenden Faktoren sind genetische Prozesse und lebensgeschichtliche Bedingungen. Aber auch Lernprozesse (Modelllernen) scheinen eine Rolle zu spielen. Auslösende Momente können belastungsreiche Lebensphasen oder subjektiv bedeutsame Lebensereignisse sein. Je nach Störungsform und betroffener Person sind die aufrechterhaltenen Faktoren sehr unterschiedlich (z. B. ängstliche Selbstbeobachtung, Vermeidungsverhalten und negative Selbstbewertungen.) Oftmals kann ein differenziertes Zusammenwirken von komplexen Verstärkersystemen beobachtet werden (operante Konditionierung). Art, Abfolge und Häufigkeit von bestimmten Reizen, aber auch die Reaktion der Umgebung sind weitere Variablen. Das Zusammenwirken von psychischen und körperlichen Faktoren kann zu einer gegenseitigen Verstärkung führen.
„Nicht die Dinge an sich beunruhigen den Menschen, sondern seine Sicht der Dinge.“ (Epiktet, griechischer Philosoph, 50 – 138 n. Chr.)
Die wahrgenommenen körperlichen Symptome der Angst werden vom Betroffenen als Gefahr fehlinterpretiert (kognitive Fehlattribution). Diese Fehlinterpretation einer nicht vorhandenen Gefahr verstärkt das Angstgefühl. Das wiederum führt im Sinne einer Stressreaktion zu einer Verstärkung der körperlichen Symptome. Ein Teufelskreis entsteht, der die stetige Zunahme der Angstsymptomatik begünstigt.
Auch das Auftreten von Erwartungsangst im Rahmen von Panikstörungen werden durch lerntheoretischer Modelle erklärt. Bereits ein einmaliges Auftreten einer Panikattacke kann eine Angst vor weiteren Attacken auslösen (Angst vor der Angst, Phobophobie). Eine wesentliche Verstärkerrolle spielt dabei das völlig unerwartete und nicht kalkulierbare Auftreten von Panikattacken.
Generalisierte Angststörung
Zwischen normaler Angst und einer generalisierten Angststörung unterscheiden zu können, ist oftmals sehr schwierig. Als Hauptmerkmal dieser Angsterkrankung macht sich eine in vielen Lebensbereichen unrealistische oder übertriebene Angst und Besorgnis bemerkbar. Das wesentliche Symptom ist eine generalisierte und anhaltende Angst, die sich aber nicht auf bestimmte Situationen in der Umgebung beschränkt. Auch ist die Angst in bestimmten Situationen nicht besonders betont. Das bedeutet, die Angst ist frei flottierend. Die hauptsächlichen körperlichen Reaktionen sind wie bei anderen Angststörungen sehr unterschiedlich. Zu diesem Krankheitsbild gehören Beschwerden wie ständige Nervosität, Muskelspannung, Zittern, Benommenheit, Schwitzen, Schwindelgefühle, Herzklopfen oder Oberbauchbeschwerden. Die Patienten befürchten häufig, zu erkranken oder zu verunglücken. Sie ängstigen sich auch darüber, dass Angehörige von Ihnen erkranken oder ihnen irgendetwas anderes zustoßen könnte. Auch kann eine große Anzahl anderer Sorgen und Vorahnungen vorhanden sein.
Bei Frauen kommen diese Störungen häufiger vor als bei Männern. Oftmals in Zusammenhang mit lange andauernden Belastungen durch äußere Umstände. Der Verlauf ist unterschiedlich. Er tendiert aber zu Schwankungen und Chronifizierungen.
So wird eine generalisierte Angststörung diagnostiziert
Patienten müssen primäre Symptome von Angst an den meisten Tagen, mindestens mehrere Wochen lang, meist mehrere Monate, aufweisen. Sie können sich in der Regel nur kurzfristig von den Ängsten ablenken oder distanzieren. In der Regel sind folgende Einzelsymptome festzustellen:
- Befürchtungen (Sorge über zukünftiges Unglück, Konzentrationsschwierigkeiten, Nervosität usw.)
- motorische Spannung (körperliche Unruhe, Spannungskopfschmerz, Zittern, Unfähigkeit, sich zu entspannen)
- vegetative Übererregbarkeit (Benommenheit, Schwitzen, Tachykardie oder Tachypnoe, Oberbauchbeschwerden, Schwindelgefühle, Mundtrockenheit etc.)
Bei Kindern herrschen oft das häufige Bedürfnis nach Beruhigung und wiederholte somatische Beschwerden vor. Andere Symptome (besonders Depressionen) können für wenige Tage vorübergehend auftreten und schließen eine generalisierte Angststörung als Hauptdiagnose nicht aus.
Betroffene dürfen aber nicht die vollständigen Kriterien für eine depressive Episode (F32), phobische Störung (F40), Panikstörung (F41.0) oder Zwangsstörung (F42) erfüllen.
Verlauf
Ohne Behandlung besteht die generalisierte Angststörung gewöhnlich über einen Zeitraum von mehreren Jahren bzw. Jahrzehnten. Die Beeinträchtigung der sozialen Anpassung oder der beruflichen Leistungsfähigkeit ist meist geringer als bei anderen Angststörungen.
Komorbidität
Sehr häufig treten Angststörungen in Kombination mit anderen psychischen Erkrankungen auf. Oft ist es sehr schwer zu differenzieren, welche Störung dabei im Vordergrund steht. So weisen etwa 60 % der Patienten mit einer generalisierten Angststörung auch Symptome einer behandlungsbedürftigen Depression auf. Bei 20-40 % der Patienten kommt es zu einer Komorbidität mit Missbrauch oder Abhängigkeit von Alkohol, Medikamenten oder anderen Drogen. Auch andere Erkrankungen treten gehäuft im Zusammenhang mit Angststörungen auf. Dabei handelt es sich um Zwangsstörungen, somatoforme Störungen und posttraumatische Belastungsstörungen.
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